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Ein im März 2012 fertiggestelltes Projekt eines befreundeten Büros zeigt neue Wege im Umgang mit Klimaveränderungen, Trinkwassermangel und Hochwasserschutzmaßnahmen auf. Davon berichtet die Fachzeitschrift „fbr-wasserspiegel“ in der letzten Quartalsausgabe des vergangenen Jahres (September 2012 / 17. Jahrgang / ISSN 1436-0632).

In Kooperation mit dem Atelier Dreiseitl planten die Ingenieure von Geitz und Partner inmitten des kleinsten Staates Südostasiens umfangreiche Renaturierungsmaßnahmen am urban geprägten Kallang River. Die Bauarbeiten dauerten 2 ½ Jahre an. Als Teil des integrierten urbanen Wassermanagements, stellt das Ergebnis des Vorhabens ein visionäres Projekt zur Integration von Wasserinfrastruktur in Städten dar.

Begradigt! Gefasst! Bezwungen?

Aufgrund des starken Verbaus befand sich der längste Fluss Singapurs im Stadtgebiet in einem vollkommen naturfernen Zustand. In seinem vorgegebenen Korsett verlief er in Form eines gestreckten Betonkanals entlang des Bishan Parks. Der Ausbau und die Fassung des Flusses sollte die schnelle und bestenfalls schadlose Ableitung des Wassers gewährleisten.

Dieser naturferne  Ausbau ließ jegliche Potenziale, die naturnahe Gewässer in sich bergen, missen. Der Kallang river war innerhalb des Parks nicht als Erholungsfläche nutzbar und erlebbar. Dementsprechend bot er auch keinerlei Lebensräume im und am Fluss für Tiere und Pflanzen. Und das in einem dicht besiedelten und intensiv genutzten Stadtstaat, in dem die Freizeit- und Erholungsflächen ohnehin sehr begrenzt sind! Hinzu kamen zahlreiche negative Folgen, die verbaute Gewässer mit sich bringen, wie beispielsweise das Problem der schnellen Hochwasserentstehung. Mit zunehmender Versiegelung des Einzugsgebietes steigt der Oberflächenabfluss extrem an – große Wassermengen werden in kurzer Zeit ungebremst direkt dem Fließgewässer zugeführt.

Das Klima von Singapur ist durch ganzjährig hohe Niederschläge gekennzeichnet und mit Niederschlagssummen von über 2000 Millimetern im Jahresmittel typisch für das immerfeuchte tropische Regenwaldklima. (Im Vergleich sind für eine Stadt wie Dresden zwischen 1981 bis 2010 im Jahresmittel Niederschlagssummen von 648 Millimetern dokumentiert, siehe Umweltatlas-Dresden 02/2011.)

Beim Eintreffen der Wassermassen im Kallang River blieb dem Fließgewässer durch die Bebauung der Auen und die Begradigung des Gewässers kaum Platz zur Ausbreitung und die entstehenden Spitzenabflüsse konnten nicht mehr abgepuffert werden. Der dicht besiedelte Inselstaat verfügt über kein natürliches Wasservorkommen zur Gewinnung von Trinkwasser. So muss sich die Stadt neben den Schwierigkeiten der Wasserverschmutzung und der schnellen Hochwasserentstehung auch den Problemen periodischer Trockenheit stellen.

Solche Probleme? Nicht bei uns?!

Bei diesen komplexen Problemstellungen neigt man schnell dazu, diese Gegebenheiten ausschließlich in Großstädten mit Einwohnerzahlen über der Millionenmarke zu vermuten. Wie beim Beispiel Singapur galten vor nicht allzu langer Zeit der Ausbau und die Fassung der Gewässer als höchst moderne, unbedingt notwendige und zukunftsweisende technische Errungenschaften. Tatsächlich treffen wir gerade in ökonomisch gut gestellten Ländern mit den Möglichkeiten der Erschließung jedes noch so kleinen Fleckchen Landes kaum noch naturnahe oder gar natürliche Gewässer an, bei denen beschriebene Probleme kein Thema sind. Die produzierten Techniken in der Gewässerbewirtschaftung zeigen, dass die alltägliche Praxis noch immer zu der Schlussfolgerung neigt, anfallendes Wasser so schnell wie möglich loszuwerden – was so viel bedeutet wie: Begradigen und Fassen! Im Falle von Fließgewässern hat diese Vorgehensweise jedoch neben den beschriebenen negativen Auswirkungen, eine direkte Verschiebung und Potenzierung der Probleme an die Unterlieger am Gewässer zur Folge.

Dabei bietet gerade die Ingenieurbiologie alle Möglichkeiten, die freigesetzten Kräfte im und am Gewässer auf behutsame Weise zu steuern, gegebenenfalls einzelne Vorgänge zu stoppen – und man mag es kaum glauben, wie bei diesem Beispiel im dicht besiedelten Singapur, sogar eigendynamische Prozesse zu initiieren!

Singapur – Aus der Not eine Tugend!

Mit der Umsetzung der Planungen wurde der kanalisierte Lauf des Kallang River auf einer Strecke von 3 Kilometern in den angrenzenden Bishan Park verlegt. Dort windet er sich nun durch die rund 62 Hektar große Parklandschaft. Der einst bei Starkregenereignissen schnell anschwellende reißende Strom kann sich nun auf eine maximale Überflutungsbreite von 100 Metern ausdehnen. Die Zielstellungen der Planung zur Abflussentschleunigung und Erhöhung des Wasserrückhaltes sind erfüllt und der Park bietet neben dem integrierten Regenwassermanagement durch die enorme Aufwertung, vielfältige Möglichkeiten der Naherholung. Im Umgang mit Wasser in der Stadtlandschaft ist Singapur in diesem Umfang ein Pionier.

Ingenieurbiologie – vielfältiges Talent!

Zur Erprobung der Wirkungsweise von ingenieurbiologischen Bauweisen am Gewässer sind für die Planung am Kallang River neue Maßstäbe angesetzt worden. Da im tropischen Raum Materialwahl und Leistungsfähigkeit von Ingenieurbiologie weitestgehend unbekannt waren, mussten die hierzulande erlangten Erfahrungen im Bereich Ingenieurbiologie mithilfe einer Versuchsstrecke am Fluss für die Umsetzung auf die tropischen Verhältnisse getestet und angepasst werden.

Nach erfolgreichen Untersuchungen wurden  verschiedene Bauarten ausgewählt, so z.B. Faschinen, Steinschüttung mit Stecklingen, Vegetationswalzen und bepflanzte Gabionen. Wie in der Ingenieurbiologie üblich, wurden für diese Bauweisen lebende Materialien verwendet, das bedeutet es wird geeignetes Pflanzenmaterial genutzt, um naturnahe Strukturen am Gewässer zu initiieren. Um die technischen Funktionen der Lebendbauweise zu verbessern bzw. das Initialstadium zu verkürzen, werden unbelebte Baustoffe, wie Steine, Holz oder Naturfasergewebe verwendet. Mit zunehmender Entwicklung der lebenden Baustoffe steigt auch die Wirkungsweise der Bauweisen. Wenn wir von Wirkungsweisen in der Ingenieurbiologie sprechen, so sind dabei zahlreiche Funktionen zu nennen.

Um es insbesondere für den städtischen Raum auf den Punkt zu bringen sind dies neben der wachsenden Stabilität der Uferbefestigungen, eben auch die ästhetisch reizvoll entstehenden Strukturen, die man natürlicherweise an einem fließenden Gewässer auch vorfinden möchte: Dichte und lockere Gehölzgruppen, teils vom Plätschern und Rauschen des Wassers umspielt, wechseln sich ab und spenden angenehm kühlenden Schatten in warmen Sommertagen. Vogelgezwitscher dringt aus den Baumkronen, im und am Wasser können Tiere beobachtet werden.

Selbst in stark urban geprägten Bereichen kann der Lebendverbau bei fachgerechter Planung und Ausführung derartige Strukturen schaffen und dabei die erforderliche Sicherheit bieten, was das erläuterte Beispiel in Singapur wieder einmal ganz klar gezeigt hat.

Den neu gestalteten Flussabschnitt nimmt die Bevölkerung sehr gut an. Die Artenanzahl der gewässernahen Fauna am und im Gewässer stieg schon vor Bauende um 30% im Vergleich zum Ausgangszustand an. Der Ansatz Natur und Gewässer für den Menschen erlebbar zu machen und somit eine Sensibilisierung und Wertschätzung für das kostbare Naturgut Wasser zu erreichen, ist vorbildlich und sollte vielen Städten als gutes Beispiel dienen.

 

Jana Salim